Ein Verschwörungsnarrativ verbreitet sich in Europa. Eine Recherche
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Am 29.01.24 setzt der emeritierte spanische Philosophieprofessor Rafael Narbona einen XTwitter-Tweet ab:
"Ich gestehe es. Ich habe an den Gesprächen zwischen Putin und Puigdemont teilgenommen. Natürlich sprechen wir Katalanisch, wie Aznar heimlich. In diesen Gesprächen gestand Putin uns, dass er bei der künftigen Invasion der Ukraine das Gold verwenden würde, das Moskau während des Bürgerkriegs aus Spanien gestohlen hatte.
Ich habe Hochverrat begangen und verdiene es, von Richter García-Castellón strafrechtlich verfolgt zu werden ...“
Natürlich ist das Satire. Narbona bezieht sich ironisch auf Gerichtsprozesse, die Spanien und nun auch Europa bewegen.
Was hat es damit auf sich? Ich bin der Sache nachgegangen.
Es fängt mit der „Operación Voloh“ an - Ein Richter und seine Untersuchungen
Am 28. Oktober 2020 leitete der 1. Ermittlungsrichter in Barcelona, Joaquín Aguirre López, ein Verfahren ein, das unter dem Namen „Operación Volhov“, „Vóljov“ oder „Voloh“ bekannt wurde.
Schon die Bezeichnungen, die die Guardia Civil der „Operation“ gab, könnten ein Licht auf mögliche ihr zugrunde liegende Motive werfen. „Volhov“ erinnert an den Namen des russischen Flusses Wolchow, der 1941 Schauplatz einer Schlacht zwischen der deutschen- und der Sowjetarmee war, an der die spanische Blaue Division teilnahm.
Die Guardia Civil erklärte den Namen „Volhov“ für einen Schreibfehler und bestand darauf, dass die richtige Bezeichnung „Voloh“ sei, die schon in einer vorhergehenden Aktion 2019 gegen katalanische Amtsträger verwendet worden wurde. Aber auch hier könnte sich eine Anspielung auf Russland finden: Veles oder Volos ist einer der Hauptgötter in der slawischen Mythologie - Gott de Fruchtbarkeit, des Viehs, aber auch des Todes, der Dunkelheit (!) und des Rechts (!).
In der Operation 2020 beauftragte der Richter die Guardia Civil 31 Durchsuchungen vorzunehmen und 21 Personen zu verhaften. Gegen sie wurde wegen der Delikte der Veruntreuung öffentlicher Gelder (Malversación), der Pflichtverletzung (Prevaricación) und der Geldwäsche ermittelt. Die Festgenommenen waren am Unabhängigkeitsprozess in Katalonien beteiligt, einige waren „ikonische“ Figuren des „procés“ und gehörten dem engeren Kreis um den ehemaligen Präsidenten Kataloniens, Charles Puigdemont, an. Ihnen wurde die illegale Finanzierung des katalanischen Unabhängigkeitsprozesses durch Umleitung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
Alle Festgenommenen wurden nach kurzer Zeit freigelassen, ohne dass die Staatsanwaltschaft der Antikorruptionsbehörde Einspruch erhob.
Aguirre war durch Korruptionsverfahren bekannt geworden, zuletzt „Operationen“ gegen katalanische Geschäftsleute und Amtsträger, die in den „Caso Voloh“ mündeten.
Möglicherweise hatte der Richter in diesen Verfahren rechtlich fragwürdige oder illegale Abzweigungen und Verwendungen von öffentlichen Geldern – gelegendlich verbunden mit persönlichen Zuwendungen - aufgedeckt. Bedenklich ist, dass die Transaktionen offenbar ohne Kontrolle oder mit Billigung der Aufsichtsorgane geschehen konnten. Diese Vorgänge sind ziemlich undurchsichtig und rechtlich zumindest als grenzwertig zu beurteilen. Es scheint aber, dass die Untersuchungsaktionen, Verdächtigungen und Festnahmen insgesamt überzogen waren.
Die Festnahmen riefen große Straßenproteste hervor.
Ich will die möglichen Missbräuche nicht rechtfertigen, aber der Hinweis scheint mir angebracht, dass nicht nur in Katalonien, sondern in ganz Spanien und unter allen Parteien immer wieder Fälle dieser Art öffentlich geworden sind. Politische und zivile Akteure im katalanischen Unabhängigkeitsprozess haben da keine Ausnahme gemacht. Einige waren wohl ziemlich bedenkenlos – nach dem Motto: der „gute“ Zweck heiligt die Mittel. Schließlich war die Unabhängigkeit regionales Staatsziel, die Hälfte der Bevölkerung hieß dies gut und viele zeigten dies durch machtvolle Demonstrationen.
Es ist aber unverkennbar, dass der Ermittlungsfuror des Richters sich nicht nur auf die Verfolgung mutmaßlicher Korruptionsfälle in Katalonien richtete, sondern gegen den katalanischen Independismus überhaupt.
Aguirre verbündete sich mit der vom Innenmister der damaligen PP-Regierung (unter dem Ministerpräsidenten Rajoy) eingeleiteten geheimen „Operación Cataluña“, womit eine Brigade der „Policia Nacional“ und der spanische Geheimdienst (CNI) beauftragt wurden. Dabei ging es darum, die Unabhängigkeitsbewegung und ihre Repräsentanten auszuspionieren und zu diskreditieren. Bei seinen Untersuchungen ließ der Richter die der Zentralregierung unterstehenden „patriotischen“ Polizeieinheiten, die Guardia Civil und Policia Nacional, tätig werden und nicht die der katalanischen Regionalregierung unterstellten Mossos d´Esquadra.
Die langwierigen und verzweigten „Makrountersuchungen“ und ihre Ergebnisse Aguirres fanden nicht immer die Zustimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft und anderer Richter. Einige oder Zweige seiner Ermittlungen verliefen im Sande, andere scheiterten und Beschuldigte wurden später rehabilitiert.
Die katalanische Tageszeitung „Lavanguardia“ bemerkt ironisch zu den Verfahren:
„Richter Joaquín Aguirre untersucht mehr Rätsel als Fälle. Stoffe, bei denen aus einem ursprünglichen Stamm weitere Äste wachsen und einen Wald bilden.“
Die Untersuchungen weiten sich aus – Neue Fragen: hat Russlands sich in den „Procés“ eingemischt und welche Rolle spielte Puigdemont dabei?
Die „Operación Voloh“ könnte als eine juristisch-gerichtliche Fortführung der „Operación Cataluña“ und als weiterer Schritt der Kriminalisierung einer politischen Bewegung bezeichnet werden.
Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung gerät zwar mit ihren Zielen in Konflikt mit spanischem Verfassungsrecht, kann sich aber auf internationale Rechte berufen.
Ursprünglich ging es in der „Operación Voloh“ um die angeblich illegale Verwendung von öffentlichen Geldern in der „Diputación“ (Provinzrat) von Barcelona zugunsten von NGOs mit kultureller oder zivil-politischer Ausrichtung und den damit verbundenen möglichen Amtsmissbrauch. Nach Auffassung des Richters hatten diese privaten Organisationen den Zweck, den illegalen politischen Abspaltungsprozess zu fördern, was teilweise zutreffend ist, wenn auch nur indirekt, aber - wie im Falle der Unterstützung katalanischen Sprachunterrichts für Ausländer – auch lächerlich erscheint.
Es blieb nicht bei der Beschränkung der Untersuchungen auf diese möglichen Korruptionsfälle und vielleicht hatte Aguirre von Anfang an andere Ziele im im Blick.
Nun ging es um eine möglicherweise irreguläre Finanzierung von Carles Puigdemont in seinem belgischen Exil und schließlich um eine angebliche Einmischung Russlands in den „Procés“ und die Rolle, die Puigdemont in diesem Zusammenhang spielte.
Schlüsselfigur in der gezielten Suche wurde Víctor Terradellas Maré, Geschäftsmann und ehemaliger Sekretär für auswärtige Angelegenheiten der „Convergència Democràtica de Catalunya (CDC)“, der Partei des Vorgängers von Puigdemont, Artur Mas.
Offiziell war Terradelas für die Umleitung von Subventionen vom Provinzrat von Barcelona auf zwei seiner Stiftungen angeklagt. Sein Auftritt vor dem Richter wurde aber schnell zu einem Verhör über seine russischen Kontakte während der heißen Phase des „Prozesses“ im Jahr 2017.
Eine Schlüsselfigur – Viktor Terradellas
Terradellas ist entschiedener Anhänger der Selbständigkeit Kataloniens. Er suchte nach einer „geopolitischen Strategie“ für ein unabhängiges Katalonien. Hierzu knüpfte er vielseitige internationale Kontakte.
Er vertrat er die Auffassung, dass Katalonien nur als selbständiges Subjekt Anerkennung und Beachtung in der internationalen Welt finden könne.
„Gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, dass alle Repressionen weitergehen werden, wenn der Konflikt nicht durch die Unabhängigkeitserklärung internationalisiert wird,“
äußerte er gegenüber Puigdemont.
Er rechnete mit der Möglichkeit, dass der spanische Zentralstaat bei einer Unabhängigkeitserklärung militärisch eingreifen könnte und war bereit, dabei Opfer in der Bevölkerung hinzunehmen. In diesem Fall hoffte er auf eine Art „friedlicher Maidan“ wie in der Ukraine.
Vom Dialog mit der spanischen Zentralregierung, den Puigdemont ihr angeboten hatte, hielt er nichts, wobei er realistisch sah, dass die PP-Regierung auch gar nicht bereit dazu war. Da die EU nicht geneigt schien, die Selbständigkeit Kataloniens zu unterstützen, suchte er andere Verbündete, im Gegensatz zu Puigdemont und dessen Vorgänger, die Katalonien als „neuen Staat in Europa“ sehen wollten.
Mögliche Unterstützer sah er in der „Triangel Israel - Deutschland – USA“ und in der „Achse“ Russland/China. Den USA musste es seiner Ansicht nach gelegen sein, kleinere Staaten statt großer Einheiten als Gegenüber zu haben. Israel und seinen Behauptungswillen betrachtete er als Vorbild für Katalonien.
Terradellas gehörte zum engsten Kreis um Puigdemont ohne offizielle Aufgaben zu haben. Er wirkte mehr im Hintergrund, als eine Art „grauer Eminenz“. Er betrieb seine eigenen Vorstellungen und intrigierte dabei auch gegen andere dem Präsidenten Nahestehende, die seiner Ansicht nach nicht radikal genug den Schritt in die Unabhängigkeit befürworteten. Zusammen mit Miquel Casas versuchte er Puigdemont mit allen Mitteln zu beeinflussen, auch mit Druck.
Casas, heute Geschäftsmann (Immobilien), gehörte der von 1978 bis 1991 bestehenden katalanischen Terrororganisation „Terra Lliure“ (Freies Land) an und war wegen „unerlaubten Waffenbesitzes“ und „Zusammenarbeit mit bewaffneten Banden“ vorbestraft. Mit Puigdemont verband ihn seit 2007 eine „gute Freundschaft“. Beide stimmten im Streben nach der Unabhängigkeit Kataloniens überein. Casas attestierte Puigdemont ein „politisches Tier“ zu sein, zählte ihn aber nicht „zu seinen Leuten“, „weil er aus dem pazifistischen Sektor kam“.
Terradellas nannte Casas gegenüber den Präsidenten „el Niño“ (Junge, auch Bezeichnung für das Jesuskind), was ihre Einschätzung Puigdemonts und ihre Haltung zu ihm zeigt. Man hat Terradellas den „Rasputin“ und Casas den „Schatten“ des Präsidenten genannt. Terradellas dürfte entscheidend zur törichten Entscheidung Puigdemonts beigetragen haben, Neuwahlen abzulehnen und und stattdessen die Unabhängigkeitserklärung im katalanischen Parlament zur Abstimmung zu bringen.
Aguirre ließ Terradellas Mobiltelefon und das anderer seiner Gesprächspartner beschlagnahmen, eine „prospektive“ und rechtlich fragwürdige Maßnahme. (Sie fand später nicht die Billigung des Staatsanwaltes.) Im Speicher des Telefons Terradellas fanden sich Hinweise auf Kontakte und Treffen mit Russen und auf den Empfang angeblicher „Emissäre“ Putins im Amtssitz des Präsidenten in Barcelona. Terradellas hatte diese Verbindungen und das Treffen mit dem Präsidenten eingefädelt.
Ein Treffen Puigdemonts mit „Russen“
Es kann als sicher gelten, dass sich Puigdemont mit vermeintlichen Vertretern Russlands traf. Nach Abwägung der mir verfügbaren Quellen – es gibt widersprüchliche Aussagen - war es ein einmaliges Treffen und zwar am 26. Oktober 2017, einen Tag bevor das Parlament Kataloniens die gescheiterte einseitige Unabhängigkeitserklärung verkündete. Die Einmaligkeit des Treffens und das Datum wird auch vom Richter vertreten.
Dass das Treffen ein „Hirngespinst des Richters“ sei, wie der Verteidiger Puigdemonts, Rechtsanwalt Gonzalo Boye meint, halte ich für eine „Schutzbehauptung“.
Den Angaben von Terradellas zufolge fand die Begegnung in der „Casa dels Canonges“ statt (historische Residenz der katalanischen Präsidenten, angeschlossen an den Palau de la Generalitat). An dem Treffen nahmen er selbst, Puigdemont, der Geschäftsmann und ehemalige russische Diplomat Nikolay Sadovnikov, dessen Landsmann Sergey Motin, - angeblich ein russischer General - und der katalanische Geschäftsmann Jordi Sardà Bonvehí teil. Letzterer - mit geschäftlichen Verbindungen zur Ukraine – fungierte als Übersetzer.
Einen Tag vor dem Treffen bereitete Casas den Präsidenten im James-Bond-Stil auf dem Telefon Terradellas per Whatsapp auf den Besuch vor – so die gerichtlichen Nachschriften (zitiert und übersetzt nach „El Diario.es):
„Präsident, ich bin Miquel. Víctor und ich treffen uns mit diesen Leuten. Sie [diese Leute] antworten uns innerhalb von 24 Stunden. Sie [die Leute] werden auch [folgendes] in Betracht ziehen: 1. Dass China auch das Seine [seine Meinung?] sagt. 2. Dass du, ehe du am Freitag etwas unternimmst, eine Videokonferenz mit PU durchführst.“ [Die Nationalpolizei glaubte, mit PU sei Putin gemeint.]
Auf diese Botschaft antworte der Präsident nicht.
Terradellas fasst einen Tag später nach:
„Ich bedaure. Ich glaube, dass wir es verdient hätten. Wir hätten uns beeilen können, bis zum letzten Moment. Schade!“
Puigdemont antwortet:
„Ich hatte keinen Spielraum. Und das Szenario war zerstörerisch für Katalonien. Ich bedaure, dass das nicht leicht und angenehm zu akzeptieren ist. Und ich bin nicht überzeugt, wie wir da herauskommen werden.“
Darauf Terradellas:
„Sie [die Partner Terradellas] haben uns diesen Nachmittag eine Erklärung garantiert, Gorbatschow, Geld von der chinesische Seite. Um 17 Uhr kam Putins Abgesandter. Wir stehen vor der Tür des Palastes. Du musst uns empfangen, du hast uns zu empfangen. Verspätung, und gib uns Zeit“.
Puigdemont:
„Ich muss jetzt [wohl] erscheinen.“
Terradellas:
„Nun, du verzögerst es. Sprechen wir. Wir, Carles [Anrede], Miquel und ich, sind hier. 50 m vom Palast. Wir gehen Richtung Canonges“.
Ich bringe diese Unterredung, weil sie zeigt, wie zögerlich Puigdemont auf das Treffen einging, ja dass er dabei geradezu überrumpelt wurde.
Es war ein obskures Trio, dass sich da zu abendlicher Stunde in einem dunklen historischen Gemäuer mit dem katalanischen Regionalpräsidenten und seinem engsten Hofgesinde zu einem Geheimtreffen zusammenfand.
„Dramatis personae“ in diesem komödienreifen Handlungsstück sind:
- Puigdemont, ein schwankender Präsident, der vor schweren Entscheidungen steht und in eine Begegnung mit unbekannten Personen hineinmanövriert wurde, nicht weiß, was er von ihnen zu halten hat und was sie ihm zu sagen haben.
- Terradellas/Casas, zwei leichtgläubige Berater, die illusionären Zielen nachjagen.
- Nikolay Sadovnikov, ein undurchschaubarer russischer Exdiplomat und Geschäftsmann, der kein Spanisch oder Katalanisch spricht und 5 Jahre später in einem Interview erklärt, er sei nach Barcelona gekommen, um seinen Freund Sardà zu besuchen und dieser habe ihn unter Vorwänden zu der Begegnung geschleppt. Er sei bei der Zusammenkunft dabeigesessen, ohne die Personen, die dabei waren, wirklich zu kennen und ohne zu verstehen, was da vor sich ging. Er habe „weder mit der Politik noch mit der Wirtschaft noch mit den Ereignissen in Katalonien zu tun.“ Die Mission und die Verbindungen, die man ihm unterstelle, seien „totale Verücktheiten.“ Sein Freund Sardà, auf den dies alles zurückgehe, sei auf „Betrüger“ hereingefallen. Denn:
„Ich habe mich immer auf Folgendes gestützt: Die Integrität Spaniens sowie die Integrität Russlands sind eine unwiderlegbare Tatsache. Aus diesem Grund wird Russland jede Spaltung und jeden Separatismus selbstverständlich aufs Schärfste verurteilen.“
- Jordi Sardà Bonvehí, ein betrügerischer katalanischer Geschäftsmann, der 2012 in der Ukraine ein Millionengeschäft im Namen von „Gas Natural“ unterschrieben hat, ohne je von der spanischen Firma beauftragt worden zu sein. Sein Interesse war, Katalonien zu einer Basis für Kryptowährungen zu machen.
- Sergei Motin, ein dubioser krebskranker Exmilitär und Geschäftsmann, der ein Jahr später auf Vermittlung von Sardà ein Krankenhaus in Barcelona aufsuchte, dieses fluchtartig verließ, ohne die hohe Rechnung zu bezahlen und auf oder nach dem Flug nach Moskau verstarb.
Was geschah bei dieser Unterredung?
Es ist nicht ganz klar, welche Aussagen und Versprechungen insgesamt gemacht wurden. Die Äußerungen
Terradellas – auf dessen Mitteilungen die Kenntnisse über das Ereignis im wesentlichen beruhen - gegenüber Mitstreitern, vor Gericht, in späteren
Inteviews und die Angaben anderer differieren zum Teil. Offenbar wurde kein Protokoll angefertigt. Es handelte sich ja auch um ein spontanes und
informelles Treffen. (Dies zum Stellenwert des Ereignisses, der vom Richter und in der Folge von den Medien maßlos überschätzt wurde.) Es nahm niemand aus dem offiziellen Stab des Präsidenten
teil.
Im Kern besteht Übereinstimmung, das dem Präsidenten wirtschaftliche und auch militärische Hilfe, 500 Millionen Dollar oder auch die Übernahme der Schulden Kataloniens und 10 000 Soldaten angeboten wurden – angeblich im Namen der russischen Regierung. Im Gegenzug wurde eine günstige Gesetzgebung zur Einführung eines Kryptowährungssystems in einem unabhängigen Katalonien und zur Schaffung einer großen globalen Nische für virtuelle Währungen gefordert.
Es ist nicht mehr zu klären, wer welche Versprechungen gemacht und Forderungen erhoben hat. Puigdemont und seine Berater verstanden kein Russisch, Taradellas und Casas waren voreingenommen und wollten bestimmte Dinge hören. Die Übersetzung der Aussagen oblag Sardà, der ersichtlich eigene Interessen hatte.
Es sind nur spärliche, kurze und oft ziemlich kryptische Hinweise auf die „Angebote“, die im Speicher des Telefons von Terradellas gefunden wurden, etwa auf die 10 000 Soldaten und ihre mögliche Landung auf dem Flughafen (Barcelonas?).
„Lavanguardia“ bemerkt dazu im leicht ironischen Ton:
„Es ist eine Sache, im Beschluss des den Fall betreuenden Richters Joaquín Aguirre die hypothetische Unterstützung von 10.000 russischen Soldaten zu lesen … Eine andere Sache ist, diese Option direkt aus dem Mund ihrer Protagonisten zu hören und zu sehen, wie im Fall von Xavier Vendrell [republikanischer Politiker] … der offen den Mangel an Glaubwürdigkeit anprangert, den die Idee verdient. ´Es ist wahrscheinlich, dass das alles ein Witz ist`, warnte David Madí [katalanischer Politiker] Terradellas.“
Nach den Angaben Terradellas schenkte der Präsident den Aussagen keinen Glauben, er sei „fassungslos“ gewesen, das Angebot schien ihm „ein schlechter Scherz“ zu sein. Dementsprechend hätten sich die „Emissäre“ enttäuscht entfernt.
Aber auch Terradellas und Casas waren enttäuscht. Terradellas äußerte einem Vertrauten gegenüber, Puigdemont habe sich „in die Hosen gemacht“.
Später sah Terradellas die Begegnung kritischer und bedauerte, dass er sich nicht mit den „Referenzen“ der Russen befasst habe. Er betonte, dass er das Treffen aus eigenem Antrieb, nicht dem Puigdemonts, arrangiert habe und fügte (verharmlosend) hinzu, dass das Gespräch dazu dienen sollte, die Situation in Katalonien „den Russen“ zu erklären, so wie er es bei Gesandten anderer Ländern getan habe.
Wie glaubhaft sind die Angebote der „Russen“?
Dass die „Emissäre“ im Namen oder Auftrag offizieller Stellen Russlands, seiner Regierung oder gar Putins tätig waren, ist gänzlich unbeweisbar und von den Personen her unglaubwürdig. Ihre „Angebote“ wirken ziemlich unwahrscheinlich:
- Die russische Regierung und Putin können kein Interesse daran haben, Separatismus zu fördern, denn Abspaltung ist eine große Gefahr für ihr Land, in dem viele unterschiedliche Ethnien leben. Die Erhaltung der territorialen Einheit ist eines der ersten außen- und innenpolitischen Ziele der Russischen Föderation. Separatismus wird unterstützt, wenn es um die Rückkehr in die großrussische Sphäre geht, aber das wird nicht als Separatismus betrachtet.
- Putin hat dem Westen 2017 vorgeworfen mit der Anerkennung des Kosovo, Vorgänge wie in Katalonien zu provozieren und das sei „eine ernsthafte Gefahr für die Stabilität in Europa und anderer Kontinente“. Nicht gerade ein flammendes Plädoyer für die katalanischen Unabhängigkeits-Befürworter!.
- Außenpolitisch war Russland in diesem Zeitraum daran gelegen, die bilateralen Beziehungen zu Europa und auch Spanien eher zu fördern als zu stören.
- Das Abenteuer, russische Soldaten in ein fernes NATO-Land zu schicken, ist Putin nicht zuzutrauen. Eine Truppe dieser Stärke – die Zahl der Luftlandetruppen der Russischen Föderation beträgt derzeit (?) ca. 45 000 Soldaten - hätte sein anderweitig benötiges militärisches Potential geschwächt. Ein sofortiges Eingreifen der NATO und der USA wäre die Folge gewesen. Auch hätte der Einsatz der russischen Truppe der russischen „Militärdoktrin“ widersprochen.
- Es ist nicht realistisch, bei der Wirtschaftslage Russlands 2017 anzunehmen, dass Russland große Summen – solche wurden später ins Spiel gebracht - in ein eventuell unabhängiges und international ziemlich unbedeutendes Katalonien investieren wollte oder konnte. Die versprochenen Geldflüsse sind jedenfalls ausgeblieben. Mit dem einen Bitcoin, den Sardà bei weiteren Treffen mit Terradellas überbrachte, war nicht „viel Staat“ zu machen!
- Was die Kryptowährungen betrifft: zur Zeit des Treffens äußerte sich Putin eher skeptisch als positiv über sie. 2022 unterschrieb er ein Gesetz, das den Handel mit Kryptowährungen in Russland verbietet.
Fazit: Die Beweislast des Puigdemont nachgesagten „russischen Komplotts“ („La trama rusa de Puigdemont“) ruht bei genauerer Recherche auf schwachen Füßen. Es handelt sich wohl eher um einen Komplott des Beraterpaars und der „russischen“ Unterhändler, nicht ohne mafiose und lächerliche Zügen.
Man kommt nicht umhin, dem „politischen Tier“ Puigdemont in dieser Sache Unprofessionalität zu attestieren. Er hätte sich in die Begegnung nicht einlassen dürfen, mindestens nicht ohne Vorklärungen und Absicherungen.
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