Meinung: Es ist Zeit den Massentourismus zu begrenzen - Vorschläge für einen "ökologischen Tourismus"

Touristisches Megaprojekt Hard Rock - Entwurfsbild
Entwurf des umstrittenen turistischen Megaprojekts Hard Rock zwischen Salou und Vila-seca (Quelle: Catalunya-Plural 12/07/24)*

Es ist wieder einmal soweit: Das Azorenhoch liegt über uns und verspricht permanent blauen Himmel, hohe Luft- und warme Wassertemperaturen. Und wieder sind Hotels ausgebucht, sonst leerstehende Zweithäuser und Ferienwohnungen belegt, die Strände tagsüber gefüllt, Restaurants zu den Essenzeiten besetzt, Supermärkte in den Abendstunden überlaufen, der Verkehr auf den Strassen dicht und nervend, Parkplätze kaum mehr zu finden. Die in der Tourismusbranche Tätigen füllen ihre Kassen, die Servicekräfte schwitzen und sind froh, Beschäftigung, geringen Verdienst und miserable Unterbringung gefunden zu haben.

 

Die Übel des unregulierten Massentourismus

 

Als "Einheimische", die ständig hier wohnen, gönnen wir den Feriengästen ihre Auszeit vom Alltag und ihre Vergnügungen. (Wir fragen uns aber, ob die ungewohnten Umstände, die Hitze, das tägliche "Braten" am Strand, die Massierungen in den Lokalitäten und auf den Strassen wirklich zuträglich und erholsam sind.) Für uns jedenfalls sind die Zeiten von Mitte Juli bis Ende August  beschwerlich, obwohl wir es gelernt haben, mit den Beschwernissen umzugehen:  wir leben und bewegen uns "antzyklisch", ziehen uns zurück, machen nur die notwendigsten Ausgänge - und atmen auf, wenn der Zustrom im Herbst endlich nachlässt.

 

>Die negativen Folgen des Massentourismus sind für uns unübersehbar und spürbar. Für die Touristen sind sie offenbar hinnehmbar, sie sind ja nur zeitweilig da und so kümmern sie  die ambivalenten Auswirkungen ihres Hierseins meist wenig. In Urlaubsstimmung meint man, die Zügel locker lassen zu können und dabei wird leicht auch die Verantwortung "beurlaubt", zumal die in der Heimat sie oft ersetzende  soziale Kontrolle fehlt.

 

Für uns bedeutet die touristische Massierung aber Stress; die Überforderung der Infrastruktur in den Ferienzeiten macht uns zu schaffen (Gestank aus und Überlaufen der Kanalisation, drohender Kollaps der Trnkwasserversorgung, Abgase des Pkw-Verkehrs usw.), höhere Preise in den Geschäften treffen auch uns, uns ärgert die Mehrbelastung der Umwelt durch achtlos "entsorgten" Müll und liegengelassenen Hundekot **, wir müssen die Verschmutzung der Strände und des Meeres (nicht zuletzt durch massiven Motorbootverkehr) hinnehmen, ebenso wie unhygienische Verhältnisse am Strand, in Parkanlagen, auf Strassen durch illegale  Übernachtungen in Wohnmobilen ***; Lärm und nächtliche Ruhestörungen durch ausgelassen Feiernde ist für uns auch nicht erfreulich.

Das Anwachsen der Kriminalität und der Zulauf der Diebe in den Ferienzeiten - angelockt durch offenbar leicht zu machende Beute - macht auch vor Einheimischen nicht Halt und lässt eine bedauerliche misstrauische Haltung gegenüber Unbekannten und wirklich Hilfsbedürftigen entstehen. 

Hinzu kommen die bleibenden Folgen des Massentourismus wie die hässliche Verbauung der Landschaft und der Strandzonen, die Zerstörung gewachsener Ortstrukturen und natürlicher Gegebenheiten, Wohnungsknappheit, Mietwucher, die Preise hochtreibende Immobilienspekulation, der Ausverkauf von Land und Häusern an betuchte Ausländer und damit die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung u.a.

 

Die Proteste gegen den Massentourismus kommen zu spät

 

Es wundert mich nicht, dass die Proteste gegen den Massentourismus in Städten und Teilen Spaniens zunehmen. Hier im Alt Empordà ist noch kaum etwas davon zu spüren, höchstens Beschwerden im privaten Kreis, wie ich sie eben vorbringe. Doch die Proteste auf Mallorca, in Barcelona und anderen Städten kommen spät und sind auch heuchlerisch. Jahrzehntelang haben die Verantwortlichen den Zustrom von immer mehr Menschen gefördert, hat man Investoren freie Hand für gigantische - oft illegale - Touristensilos und den Aufkauf von Wohnraum für touristische Nutzung gelassen, auch bedenkenlos den Zweitwohnungsbau genehmigt und massenhaft Lizenzen für private Vermietung erteilt. Bei alle dem hat man nur auf den finanziellen Gewinn geschaut. Davon haben viele der Einheimischen profitiert, etwa Bauern, die Land verkauft haben oder Handwerker, die bei den Neubauten Beschäftigung fanden. Frühere Proteste haben zwar zur Ausweisung von Naturschutzgebieten und damit zur Verhinderung von Bebauungsplänen geführt - im Falle Mallorcas die Albufera und im Alt Empordà die Aiguamolls - aber strukturell hat sich am Massentourismus wenig geändert. Es wäre erkennbar gewesen, wohin das auf die Dauer führt, und man hätte schon längst regulierend eingreifen müssen. Wo Einwohnervereinigungen darauf hingewiesen haben - wie im Falle von Roses-Santa Margarita, wo ich beteiligt war - blieb es - bis auf Einzellösungen - bei Absichtserklärungen der kommunalen Regierungen. Von dem Vorhaben einer früheren Bürgermeisterin in Roses "Qualitätstourismus" zu schaffen, sind nur Ansätze erkennbar.

 

Leider hat man auch die Chance nicht genutzt, nach der Corona-Zeit einige sinnvolle Restriktionen beizubehalten

 

Man wird den Massentourismus nicht mehr abschaffen können. Die Menschen wollen ihre angeblich "schönste Zeit des Jahres" in vermeintlich klimatisch und landschaftlich begünstigten Gegenden oder attraktiven Städten verbringen - und das möglichst preisgünstig., wie es die Tourismusunternehmen in großen Hotelkomplexen anbieten. Man kann auch nicht mehr die gesamte hierfür errichtete Tourismusinfrastruktur abbauen oder die Wirtschaft der bisher auf Tourismus angewiesenen Regionen gänzlich umkrempeln.

 

Die "Weltorganisation für Tourismus" (UNWTO/UN Tourism) der UN spricht von einem "Recht auf Reisen und Tourismus", das ja für viele nur über die Angebote der Massentourismus-Organisationen realisierbar ist. 

 

Es ist aber an der Zeit, dass die Verantwortlichen in der Politik und in der Tourismusbranche erkennen, dass dass der bisherige, faktische Kurs des Tourismusgeschäftes an seine Grenzen gekommen ist.

 

Für einen Sozialraum,  sei es eine Stadt, eine Region oder ein Land ist es auf die Dauer nicht zuträglich, wenn der Tourismus Priorität vor allem anderen hat. Der Massentourismus muss begrenzt und reguliert werden. Dies ist erforderlich, um eine Balance zwischen touristischen und nicht-touristischen Erfordernissen in den Urlaubsregionen zu erreichen. Es sollte ein  für beide Seiten verträgliches Verhältnis zwischen den Bedürfnissen der "Reisenden" und denen der "Bereisten" herrschen.  Dies zu erreichen, ist eine Sache der Verantwortlichen in den Tourismusbehörden und touristischen Unternehmen, aber auch der Einsicht und des Verhaltens der Gäste. Einschränkungen und Begrenzungen in diesem Sinne würden zwar nicht den Beifall aller finden, aber letzten Endes der Qualität der Urlaubsaufenthalte zugutekommen.

 

Dass es sinnvoll wäre, die bisherigen Politik des unbegrenzten Wachstums der Touristenzahlen und der Ignorierung der negativen Folgen zu ändern, gilt auch für die Gegend, in der ich lebe, der Costa Brava, für Roses, Empuriabrava, L´Escala und andere Ferienorte. Ich habe aber den Eindruck, dass man hier die Notwendigkeit von Änderungen und  Eingriffen (noch) nicht sehen will. Der Tourist ist hier eine "heilige Kuh", der allgemeine Schonung genießt. Kleinere Einschränkungen wie die  zeitweilige Sperrung von Naturschutzgebieten und darin liegenden Stränden tagsüber für den Autoverkehr wie beim Cap de Creus (bei Roses/Cadaqués) sind nützlich, aber nur ein Pflästerchen auf ein große Wunde.

 

Ebenso ist der Versuch der Begrenzung durch Eintrittspreise  wie in Venedig oder höhere Tourismusabgaben keine Lösung gegen den "Overtourism", sondern dient nur der Füllung kommunaler Kassen.

 

Ein veränderter, mehr menschenfreundlicher, weniger umwelt- und sozialschädlicher, "ökologischer Massentourismus"  ist machbar. Ich beziehe mich hier auf Vorschläge des Politologen Udo Knapp in der TAZ vom 29.07.24, die er am Beispiel Mallorcas unterbreitet: 

 

Ökologischer Massentourismus ist machbar

 

"Dafür könnten folgende Politikinstrumente eingesetzt werden: Besucherobergrenzen [eventuell Intervallbegrenzungen], Airbnb-Verbote, fossilfreie Energieversorgung und [fossilfreie] Mobilität für die ganze Insel, eine restriktive, auf Kreisläufen aufgesetzte Wasserbewirtschaftung [Brauchwassernutzung in verschiedenen Bereichen, Verzicht auf private mit Trinkwasser zu befüllende Schwimmbäder, Meerwasserduschen am Strand usw.], Bauverbote und einschränkende Verschärfungen des Baurechts, ein Vorkaufsrecht aller Kommunen beim Verkauf von Immobilien und Grundstücken, höhere Steuern für Unternehmen der Tourismuswirtschaft, eine Pflicht für alle Betreiber von Tourismusbetrieben, Wohnungen für ihre Mitarbeiter zur Verfügung zu stellen, öffentlicher sozialer Wohnungsbau und nicht zuletzt das Einrichten neuer Naturschutzgebiete.

 

[Ich, Lobo-w-j,  würde noch hinzufügen: die Übernahme und Vermietung an wohnungssuchende Dauermieter von offensichtlich langfristig nicht genutzen Häusern und Wohnungen durch die Kommunen an Stelle der fragwürdigen "wilden" "Besetzungen"  durch "Ocupados".

Ein weiterer Punkt, den ich für wichtig halte, ist die Förderung von umweltschonendem und konsequentere Sanktionierung von umweltschädlichem Verhalten - wie es etwa in Australien praktiziert wird. Aber auch die Reduzierung  von umweltbelastenden "Freizeit"-Einrichtungen und "-aktivitäten" ist hier zu nennen und ihre Umwandlung in "nachhaltige" Unternehmen bzw. Tätigkeiten zu fordern.]

 

Ökologischer Massentourismus ist machbar. Er muss allerdings alle seine externen Kosten in seine Preise einfügen. Auch wenn der Urlaub auf der Insel dann teurer würde, müsste er wegen der weiter hohen Nachfrage deshalb nicht unbezahlbar werden. [Und qualitativ gehobener Spass im Urlaub muss durch ökologisch ausgerichteten Tourismus auch nicht aufgehoben werden! Primitiv-Spass à la "Ballermann" sollten Urlaubsgebiete allerdings nicht mehr tolerieren!.] Mallorca könnte auf diesem Weg die Lieblingsdestination der Deutschen bleiben und gleichzeitig könnte der Überlebensstress für die Mallorquiner aufhören."

 

Nicht nur politische Instrumente, sondern auch ethische Komponenten sind wichtig

 

Ich würde das "politische Instrumentarium", das Udo Knapp vorschlägt, noch durch ethische Komponenten ergänzen wollen. Dies fordert auch die Welttourismusorganisation (UNWTO/ UN Tourism). Sie verbindet das  "Recht auf Reisen und Tourismus" mit einem "Globalen Ethik-Kodex für den Tourismus". (englisch / deutsch)

 

Es wäre schon einmal gut, wenn die am Tourismusgeschäft Beteiligten die "Touristen" wieder mehr als "Gäste" behandeln und nicht nur als nützliche Geldbringer. Und umgekehrt sollten Touristen sich als "Gäste" verstehen und ihren "Gastgebern" und dem Gastort  Respekt entgegenbringen. Das sollte nicht nur Forderung bleiben, sondern den Beteiligten nahegebracht werden. Insofern haben die Tourismuseinrichtungen auch eine pädagogische Aufgabe.

 

Zu einem "Ökölogischen Massentourismus" würde auch die menschenfreundliche und humane Gestaltung der Abläufe und der Urlaubsaufenthalte gehören. Da bleibt einiges zu tun. Es ist ja so, dass die Massierung von Touristen nicht nur ambientale und soziale Schäden hervorruft, sondern auch die am Massentourismus teilnehmenden Menschen deformiert - zumindest im Falle des organisierten Massentourismus. Aus selbstbestimmt Reisenden werden geleitete und betreute Glieder einer Masse, die  durch ein durchorganisiertes, anonymisiertes und kommerzialisiertes Tourismussystem geschleust wird. Das erleichtert beim Reisen und im Urlaub manches. Aber eigene Initiativen und Selbstverantwortung bleiben da leicht auf der Strecke. Und ob sich bei einem ausschließlich auf Massendurchlauf, Profitmaximierung und Effektivität angelegtem System die ersehnten und in der Werbung versprochenen  Urlaubsträume immer erfüllen und individuelles Wohlbefinden sich einstellt, kann nicht erwartet werden.

Dass das nicht so sein muss, zeigen Reiseunternehmen, die sich "nachhaltigem" Reisen verschrieben haben. Laut der UNWTO ist nachhaltiger Tourismus

 

„eine Einrichtung, die die gegenwärtigen und künftigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen voll berücksichtigt, um den Bedürfnissen der Besucher, der Industrie, der Umwelt und der gastgebenden Gemeinschaften gerecht zu werden“.

 

Es ist nicht unmöglich, dass sich auch Massentourismus diesen Grundsätzen und Zielen öffnet. Der "Globale Ethik-Kodex für den Tourismus" fordert die Beachtung solcher Grundsätze für jeden Tourismus.

 

Auch für die Tourismusbranche gilt wie für andere Zweige der kapitalistischen Wirtschaft: Wandel oder eine dystopische Zukunft.

 

Zu dem hier behandelten Thema gibt es einen früheren Blog-Artikel: Endlich ziehen sie ab - das Übel des Massentourismus (2021)

 

* Bild Hard Rock-Projekt. Dieses umstrittene Vorhaben hat die derzeitige katalanische Regierung zu Fall gebracht. Es soll 700 000 m" umfassen, 6000 m" Wasserfläche und 600 Unterkünfte und ein Spielecasino bieten. Neben den versprochenen 11.500 Arbeitsplätzen hätte das Projekt "verheerende Folgen" und Gefahren für Umwelt, Sicherheit und Sozialstruktur der Region.

Die Hard Rock-Kette gehört einem US-amerikanischen Indianerstamm.

 

** Das spanische Gesetz zum "Wohlbefinden der Tiere" stellt das Nichtbeseitigen von Hundeexkrementen und Urinspuren unter hohe Strafen, die aber kaum verhängt werden. Besonders lästig ist, wenn Hunde trotz Verbotsschildern an Strände mitgenommen werden und der Kot dort liegengelassen und urinieren nicht verhindert wird. Ich bin selbst Hundebesitzer und es ist für mich und viele andere selbstverständlich, dass diese Hygienevorschriften beachtet werden.

 

*** Freies Campen und Übernachten in Wohnmobilen - damit auch das Ablassen von "Flüssigkeiten" -  ist in Spanien und Katalonien auf öffentlichen Strassen und Plätzen verboten. Leider kümmert das viele Wohnmobilreisende nicht und Behörden und Polizei drücken meist die Augen zu.

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