Gedichte zu

Weihnachten

Herbst

Mandelbaum

Sagrada Familia: Geburt Jesu

 

Joan Salvat-Papasseit (geb. Barcelona 1894- gest. Barcelona 1924)

 

– ein sozialkritischer Literat und avantgardistischer Arbeiterdichter

 

Nadal

 

Sento el fred de la nit

 

i la simbomba fosca.

 

Així el grup d´hommes joves que ara passa cantant.

 

Sento el carro dels apis

 

que l´empedrat recolza

 

i els altres qui l´avencen, tots d´adreça al mercat.

 

Els de casa, a la cuina,

 

prop del braser que crema,

 

amb el gas tot encès han enllestit el gall.

 

Ara esguarda l lluna, que m´apar lluna plena;

 

I ell recullen les plomes,

 

I ja enyoren demà.

 

Demà posats a taula oblidarem els pobres

 

- i tan pobres com som-.

 

Jesús ja serà nat.

 

Ens mirarà un moment a l´hora de les postres

 

i després de mirar-nos arrencarà a plorar.

 

 

Weihnachten

 

Ich spüre die Kälte der Nacht

 

und höre den dunklen Klang der Hirtentrommel

 

und auch die Gruppe von jungen Männern, die singend vorbei ziehn.

 

Ich höre Karren, voll mit Gemüse,

 

die über das Pflaster holpern

 

und andre sich nähern, alle den Markt zum Ziel.

 

Die Meinen, im Haus, in der Küche,

 

nahe dem Kohleherd, der glüht,

 

Im Licht der Gasflamme haben sie den Hahn fertig bereitet.

 

Nun betrachte ich den Mond und mir scheint, es ist Vollmond;

 

sie sammeln die Federn

 

und ersehnen den morgigen Tag.

 

Morgen, gereiht um die Tafel, werden wir die Armen vergessen

 

- und arm sind ja auch wir -

 

Jesus wird geboren sein.

 

Er wird uns anschaun, einen Moment, in der Stunde des Nachtischs

 

Und wenn er uns anschaut, wird er in Tränen ausbrechen.

  

Das Gedicht spielt auf eine alte Tradition in Katalonien an. Am Ende des abendlichen Weihnachtsmahls - bei den "postres", dem Nachtisch - sagen die Kinder ein Gedicht auf, das das Weihnachtsgeschehen zum Inhalt hat.

 

Wer sich für weitere katalanische Weihnachtsbräuche interessiert, kann unter "Katalanische Feste und Gebräuche" mehr erfahren.

Der herbstliche Canigó - der "heilige" Berg der Katalanen

           Rubén Darío: Autumnal              Herbstlich

 

En las pálidas tardes                              In fahlen Nachmittagstunden                yerran nubes tranquilas                          - aufgefasert - ruhige Wolken
en el azul; en las ardientes manos           im Blau; in brennenden Händen
se posan las cabezas pensativas.             liegen Häupter - nachdenklich.
¡Ah los suspiros! ¡Ah los dulces sueños!    Ah die Seufzer! Ah die süßen Träume!
¡Ah las tristezas íntimas!                         Ah verborgene Traurigkeiten!
¡Ah el polvo de oro que en el aire flota,    Ah, der Goldstaub flirrend in der Luft,
tras cuyas ondas trémulas se miran         durch seine zitternde Wellen
los ojos tiernos y húmedos,                     erblickt man zarte und feuchte Augen,
las bocas inundadas de sonrisas,             Münder von Lächeln umspült,
las crespas cabelleras                             gekrauste Haare
y los dedos de rosa que acarician!           und rosafarbene Finger - liebkosend!

En las pálidas tardes                               In fahlen Nachmittagstunden
me cuenta un hada amiga                       erzählt mir eine freundliche Fee
las historias secretas                              geheime Geschichten
llenas de poesía;                                    voll von Poesie -                                       
lo que cantan los pájaros,                       wovon die Vögel singen
lo que llevan las brisas,                          was Lüfte raunen
lo que vaga en las nieblas,                     was im Nebel wabert
lo que sueñan las niñas.                         was Mädchen träumen.

Una vez sentí el ansia                            Einmal - ich spürte ich die Enge
de una sed infinita.                                eines unendlichen Verlangens,
Dije al hada amorosa:                           sprach ich zur liebevollen Fee:
?Quiero en el alma mía                          Ich möchte in meiner Seele bewahren
tener la aspiración honda, profunda,       das tiefe, unermessliche Verlangen:
inmensa: luz, calor, aroma, vida.            Licht, Wärme, Wohlgeruch, Leben.
Ella me dijo: ?¡Ven!? con el acento          Ihre Antwort - Komm!? - klang
con que hablaría un arpa. En él había      wie ein Harfenton, gefüllt mit dem
un divino aroma de esperanza.               göttlichen Aroma der Hoffnung.          

 

¡Oh sed del ideal!                                   Oh der Durst nach dem Idealen,

                                                            der vollkommenen Erfüllung!

Sobre la cima                                        Auf dem Gipfel eines Berges,
de un monte, a medianoche,                   zur Mitternacht,
me mostró las estrellas encendidas.        zeigte sie mir die funkelnden Sterne,
Era un jardín de oro                               da war ein goldener Garten,
con pétalos de llama que titilan.              Flammenblüten, leuchtend...
Exclamé: ?Más...                                   Aus rief sie: Willst du mehr?
La aurora                                              Morgenröte
vino después. La aurora sonreía,             stieg herauf - lächelnd,
con la luz en la frente,                            Licht im Antlitz,
como la joven tímida                              wie der schüchterne Jüngling,
que abre la reja, y la sorprenden luego    der - öffnend das Fenstergitter -
ciertas curiosas, mágicas pupilas.            überrascht wird durch neugierige,
Y dije: ?Más...?                                       bezaubernde Augen.

Sonriendo                                              Und: Willst du mehr?                         la celeste hada amiga                                 Lächelnd brach es aus ihr,
prorrumpió: ?¡Y bien! ¡Las flores!             der himmlischen Feenfreundin:
Y las flores                                             Nun gut! Blumen!
estaban frescas, lindas,                           Und da sah ich Blumen, frisch,
empapadas de olor: la rosa virgen,          schön, duftgetränkt,
la blanca margarita,                               die jungfräuliche Rose,
la azucena gentil y las volúbiles               die weiße Margarite,
que cuelgan de la rama estremecida.       die anmutige Lilie...
Y dije: ?Más...                                        Und: Willst du mehr?
El viento                                                Der Wind -
arrastraba rumores, ecos, risas,              Gerüchte, Echos, Lachen,
murmullos misteriosos, aleteos,               Flüstern, geheimnisvoll,
músicas nunca oídas.                              Flügelschlag wehte er herbei
                                                   und nie gehörte Musik.
El hada entonces me llevó hasta el velo    Dann: es führte mich die Fee
que nos cubre las ansias infinitas,             zum Schleier, der bedeckt
la inspiración profunda                             die unergründlichen Ängste,
y el alma de las liras.                               die tiefe Inspiration,
Y los rasgó. Allí todo era aurora.               die Seele der Leier,
En el fondo se vía                                    - und zog ihn hinweg. Und überall
un bello rostro de mujer.                          war Morgenröte...und das schöne 
¡Oh; nunca,                                            Gesicht einer Frau.
Piérides, diréis las sacras dichas               Niemals, ihr Musen, werdet ihr
que en el alma sintiera!                            enthüllen das heilige Glück,
Con su vaga sonrisa:                               das ich empfand in meiner Seele.
?¿Más?... ?dijo el hada.                            Und mit unbestimmbaren Lächeln                                                              die Fee: Willst du mehr?
Y yo tenía entonces                                 Und ich:
clavadas las pupilas                                 die Augen geschlossen im Blau
en el azul; y en mis ardientes manos        legte das Haupt in meine Hände -
se posó mi cabeza pensativa...                 nachdenklich.

Dies Gedicht des Dichters, Diplomaten und Journalisten aus Nicaragua (1867-1916) ist mit seinen Assoziationen, Metaphern und Symbolen auf den ersten Blick nicht leicht zugänglich. Beschäftigt man sich näher mit ihm, zeigt es große poetische Schönheit und Empfindungstiefe.

Der Dichter nimmt uns in Gefühle hinein, die bei Spaziergängen im Herbst angesichts der ersterbenden Natur, der nachlassenden Helligkeit uns überkommen können: Melancholie, Verzagtheit, Sehnsucht nach Wärme, Licht, Sommerfarben...Darüber hinaus erwacht die immer vorhandene und unstillbare Sehnsucht nach ganzem Glück und vollkommener Erfüllung.

Da erscheint dem Dichter bei "geschlossenen äußeren Augen" - im Tagtraum - eine freundliche Fee: sie öffnet seine "inneren Augen" und weist ihn auf die Schönheiten der Natur, der ihn umgebenden Welt hin, enthüllt ihm aber auch seinen inneren Reichtum, seine Kreativität, Liebesfähigkeit...Am Schluß schließt das "dichterische Ich" wieder seine Augen, aber sein Blick, sein Empfinden hat sich gewandelt..Wenn wir mit dem Dichter, dem Gedicht, mitgehen, so mag sich auch unser Blick, unser Empfinden im Herbst ändern und uns aufmerksamer und  glücklicher zurück lassen...

Im Nachbargarten blüht ein Mandelbaum ...

Das erinnert mich an ein Gedicht des deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Schalom Ben-Chorin (1913-1999):

             Das Zeichen

       Freunde, dass der Mandelzweig
       Wieder blüht und treibt,
       Ist das nicht ein Fingerzeig,
       Dass die Liebe bleibt?
 
       Dass das Leben weiter ging,
       Soviel Blut auch schreit,
       Achtet dieses nicht gering,
       In der trübsten Zeit.

       Tausende zerstampft der Krieg,
       Eine Welt vergeht.
       Doch des Lebens Blütensieg
       Leicht im Winde weht.

       Freunde, dass der Mandelzweig
       Sich in Blüten wiegt,
       Bleibe uns ein Fingerzeig,
       Wie das Leben siegt.

Ben-Chorin schrieb das Gedicht 1942, mitten im Weltkrieg, während der Judenverfolgungen der Nazis und unter den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Juden in Palästina.

Der Autor schreibt über die Enstehung:

 

"Wenn ich an kalten Februartagen auf dem Balkon vor meinem Arbeitszimmer trat, fiel mein Blick immer wieder auf diesen Mandelbaum, der bereits weiß-rosa Blütenblätter zeigte, wenn alle anderen Bäume ringsum noch winterlich kahl blieben … Wenn ich aber sehr verzagt und hoffnungslos dem kommenden Tag entgegenblickte, haben mich der Mandelbaum und seine geflüsterte Botschaft gestärkt. In den düstersten Jahren des Zweiten Weltkrieges und der beispiellosen Verfolgungen hat sich mir dieses Erlebnis zu einem Lied verdichtet." (zitiert nach Frank Mischnik)

 

Auch in Spanien/Katalonien ist "la rama floreciente del almendro" ein Frühlings - und ein Hoffnungszeichen. Der blühende Mandelbaum oder -zweig wird viel besungen:

 

Joan Maragall.

 

                                    L'Ametller florit.

A mig aire de la serra
veig un ametller florit:
Déu te guard, bandera blanca,
dies ha que t'he delit!

Ets la pau que s'anuncia
entre sol, núvols i vents...
no ets encara el millor temps,
però en tens tota l'alegria.
             Auf halber Höhe des Berges
             Sehe ich einen blühenden Mandelbaum:
             Gott beschütze dich, weiße Flagge,
             Seit Tagen schon ersehnt´ich dich so sehr!

             Du bist der Frieden, der angekündigt wird
             Zwischen Sonne, Wolken und Wind…
             Noch bist du nicht in der besten Zeit,
             Aber all seine Freude hast du schon.
        Joan Maragall i Gorina, katalanischer Dichter
(Barcelona, 1860 –1911)
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